Der Zusammenhang von Vorurteil, Wissenschaft und Völkermord an den Sinti und Roma – in europäischer Perspektive.
Standen bei der Wannsee-Konferenz und der Hungerplan-Konferenz die NS-Staatssekretäre und die Vertreter der SS im Mittelpunkt der Forschung und Darstellung, sind es diesmal die Wissenschaftler*innen selbst: Anthropologen, Eugeniker, Kriminalbiologen und Feldforscher der Rassenkunde.
Mit diesem wissenschaftlich-künstlerischen Projekt vollendet das HISTORIKERLABOR seine Trilogie Die Erfindung und Vernichtung des Untermenschen. Der organisierte Mord an Juden, Slawen, Sinti und Roma durch NS-Deutschland.
Lokalen Schwerpunkt bildet Berlin-Dahlem, das „deutsche Oxford“ mit dem Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft) und der Rassenhygienischen Forschungsstelle (Reichsgesundheitsamt). Hier verbanden sich Theorie und Praxis, hier wurden rassenbiologische Gutachten geschrieben, die zu Deportationen ins Konzentrationslager führten, hier wurden Augen von KZ-Häftlingen angefordert, wurde Auschwitz zur verlängerten Laborbank von Dahlem.
Nach zwei Konferenzen wählt das HISTORIKERLABOR nun ein Symposium, zudem ein fiktives aus Ausgangspunkt seiner biographischen Forschung und theatralen Umsetzung. Das ermöglicht erstens die Wissenschaftsgeschichte als internationale zu zeigen: Wissenschaftler aus den europäischen Nachbarländern berichten über die eigene biologistische Forschung und Politik, die minderwertiges Leben und geborene Verbrecher kennzeichnet und Parasiten aus dem gesunden Volkskörper ausscheiden will. Zu den Wissenschaftlern gesellen sich zum zweiten sogenannte Praktiker des Massenmords: 1942 hat der Genozid an den Sinti und Roma bereits begonnen, in deutschen und kroatischen Konzentrationslagern, hinter der Ostfront. Drittens bedeutet ein Symposium eine direkte Ansprache ans Publikum, eine direkte Konfrontation – zwangsläufig auch mit der Gegenwart – der vermeintlichen Massen-Armutsmigration und der Nicht-Integrierbarkeit der Tziganes. Letztlich ermöglicht die offene Form des Dokumentartheaters nicht nur die Kommentierung von rassistischem Gedankengut, sondern auch die Einbeziehung der Opferperspektive – die Wiedergabe der Stimmen derer, die zum Verschwinden gebracht werden sollten. Hier setzt das Parallelprojekt zur Kulturellen Bildung an; ein Jugend-Theater-Projekt, das die Gegenrede der Roma ins Stück einbringt.
Auch den Abschluss der Trilogie bestimmt der Gleichklang von Kunst und Wissenschaft. Zunächst beschäftigt sich jeweils ein*e Historiker*in mit einer historischen Figur. In einer mehrwöchigen Arbeits- und Probenphase wird dann eine gemeinsame, multi-perspektivische Textfassung entwickelt, welche die Historiker*innen anschließend auch selbst aufführen, als Wissenschaftler*innen von heute, mit dem Blick auf die Wissenschaftler*innen von 1942.